Tosca - 2025 - Wiesbaden
Ausgerechnet mit Giacomo Puccinis „Tosca“, einer der Top-Ten Opernwerke weltweit,
meistert José Cortés sein Regiedebüt
am Staatstheater Wiesbaden. Das Publikum feiert die Premiere mit frenetischem Applaus
und Standing Ovations.
Ursächlicher Auslöser dafür sind Chin Chao Lin und Sinéad Campbell Wallace. Der
taiwanische Dirigent und die irische
Sopranistin haben eine gemeinsame Tosca-Geschichte und verstehen sich darauf, glühende
Expressivität überaus subtil zu
entfesseln. José Cortés stimmt sein Konzept einer tiefgreifenden Seelenschau darauf ab
und nimmt dabei in Kauf, dass
viel an der Rampe gesungen wird.
Die legendäre Tosca mit Maria Callas saß in seinem Hinterkopf, als sich José Cortés mit
dem Stoff auseinandersetzte. Er
beschäftigte sich mit dem Drama La Tosca von Victorien Sardou, das Giuseppe Giacosa und
Luigi Illica als Grundlage für
das Libretto nutzten, und vertiefte sich in die Psyche der Floria Tosca. Das
Unausgesprochene sichtbar machen, gilt
seine Absicht.
Es sind komplexe Emotionen wie Liebe, Eifersucht, Hass, Angst und Verzweiflung, die
Floria Toscas Denken bestimmen und
in der Musik Gestalt annehmen. Puccini packte alle Facetten menschlicher Untiefen in die
Partitur. Nicht genug für José
Cortés. Er will die Turbulenzen im Kopf der Floria Tosca konkret abbilden, lenkt den
Blick auf überflüssige
Nebensächlichkeiten und führt stumme Charaktere ein, die nicht im Libretto vorgesehen
sind.
Gleich im ersten Akt taucht in der Kirche die Marchesa Attavanti, Angelottis Schwester
auf. Im Schatten einer
Kirchensäule küsst sie Mario Cavaradossi voller Leidenschaft und bestätigt damit die
Affäre, die Tosca nur laut Libretto
vermutet. Und weil die Königin Maria Karolina in Sardous Bühnenstück die personifizierte
Skrupellosigkeit verkörpert,
stellt José Cortés sie an die Seite von Scarpia, als sei sie die eigentlich Böse. Im
zweiten Akt auf dem emotional und
dramatisch stärksten Höhepunkt bevölkern zwei weitere Tosca-Double die Szenerie, die
eine frömmelnd, die andere frivol,
um dem Publikum zu erklären, warum die singende Tosca schließlich nicht aus Notwehr zum
Messer greift, sondern zur
Mörderin wird. Danach entscheidet sich Cortés schlüssig für kein Aufbahren, keine Reue.
Aber auch keine Liebesszene und
keinen Sieg.
Historisch gesehen spielt Tosca um 1800 an konkreten Orten in Rom in einer Zeit
politischer Instabilität. Die Spielorte
sind bekannte Gebäude, die Kirche Sant´Andrea della Valle, der Palazzo Farnese, die
Engelsburg. Bühnenbildner Manuel La
Caste reduziert auf ein Minimum an Requisiten, um die Räume zu definieren und nutzt mit
Martin Siemann an seiner Seite
die effektvollen Mittel aus Licht und Schatten für das Atmosphärische. Kunstvoll
arrangiert, sorgsam komponiert atmen
diese Räume Einsamkeit, Verlorenheit, Hoffnungslosigkeit und Untergang, durchsetzt von
wenigen Momenten
lichtdurchfluteter Verklärung.
Puccini war ein Meister darin, Grausamkeiten durch den Kontrast zu relativ harmloser
Sphärenmusik zu verstärken, vor
allem wenn Gut und Böse sich im Ensemble zusammenfinden müssen. Das gilt vor allem für
den zweiten Akt. Doch so sehr
Massimo Cavalletti sich in der Rolle des Baron Scarpia auch gefiel, entbehrte er jenes
Maß an Bedrohlichkeit, das auch
voraussetzt, bis an die Grenzen der Stimme heranzugehen. Otar Jorjikia als Cavaradossis
legte hingegen alle Kraft in
seinen Ausruf „Vittoria!“. So emotional und stimmgewaltig, wie es Otar Jorjikia
intonierte, verfehlte es seine Wirkung
nicht. Dies überraschte um so mehr, da Otar Jorjikia die berühmte Arie „Recondita
armonia“ gleich im ersten Akt korrekt,
aber kräftesparend zum Besten gab, im Finale zunächst stimmlich einbrach, im Duett „O
dolci mani“ alle Konzentration
aufbrachte, um die leisen und starken Töne mit aller Zärtlichkeit auszugestalten.
Ganz anders Sinéad Campbell Wallace. Sie verfügt über die Technik, die Kraft und das
Gespür für eine messerscharfe
Charakteristik. Fließend gelingen ihr die Kantilenen, souverän gestaltet sie mit subtil
feinsten Schattierungen und
Strahlkraft bis in extreme Höhen, um darstellerisch intensiv das Gefühlschaos der Diva
Floria Tosca mit aller gebotenen
Leidenschaftlichkeit und emotionalen Tiefe rückhaltlos auszudrücken. Und das mit fast
unendlichem Atem. Mit Toscas Gebet
„Vissi d´arte“ elektrisierte sie alle Premierenbesucher. Ihre Interpretation voller
spannungsgeladener Expressivität wie
intimer Intensität ist selten. Ihren ersten Tosca Erfolg feierte Sinéad Campbell Wallace
mit Chin Chao Lin am
Dirigentenpult 2019 unter freiem Himmel in Regensburg. 2023 wurde die irische
Ausnahme-Sopranistin für diese Partie an
der English National Opera mit dem Olivier Award ausgezeichnet. Chin Chao Lin, derzeit
erster Kapellmeister am
Staatstheater Wiesbaden und ab der kommenden Spielzeit GMD am Stadttheater Klagenfurt,
überzeugte seinerseits am Pult im
Orchestergraben. Ohne Scheu vor charakterisierenden Effekten und donnernden Klängen
verstärkte er die Wirkung bizarrer
Süßlichkeit wie angewandter Grausamkeiten und tiefenpsychologischer Deutung, ohne die
filigranen Details zu
vernachlässigen. Selten gelingt diese Partitur so kompromisslos dramatisch und
mitreißend. Das Hessische
Staattheaterorchester musizierte in Höchstform.
Christiane Franke - Klassik.com